Was hat Kunst denn mit Wundern zu tun? 

Das wiederum kann man nur schwer mit Worten beschreiben. Das muss man vermutlich selbst einmal erleben. Ich habe das bei so vielen kunsttherapeutischen Übungen selbst erfahren und bei anderen beobachten dürfen, dass ich eine Gänsehaut bekomme, wenn ich nur daran denke. 

Die Prozesse sind so individuell, wie wir eben alle unterschiedlich sind. Wo jemand tief berührt ist, wenn er sein getontes Werk ertastet, versteht ein Außenstehender nicht, was das so Besonderes sein soll.

Ich versuche es trotzdem mal an einem meiner eigenen Erlebnisse zu beschreiben und gebe Euch einen sehr privaten Einblick in eines meiner Wunder: 

In einer meiner ersten Kunsttherapiesitzungen sollten wir einfach frei darauf los malen. Ohne großes Thema. Einfach ganz nach unserem momentanen Gefühlszustand. Ich hatte keine konkrete Idee und wusste auch nicht so genau wie’s mir eigentlich geht, geschweige denn, wie ich das beschreiben oder malen sollte. Ich weiß auch nicht mehr, wie ich auf das Motiv der Seerose gekommen bin. Sie war auf einmal in meinem Sinn und ich hab einfach darauf losgemalt.

Das Schöne an so einer Sitzung ist ja auch, dass gar nichts passieren muss. Es gibt also auch gar keine unbedingte Erwartungshaltung. Die hatte ich demnach in diesem Moment auch nicht. Ich habe einfach losgelöst und unbeschwert gemalt und die Zeit für mich genossen.

Zuerst hab ich mit verschiedenen Strukturen gearbeitet. Dann mit verschiedenen Blau- und Grüntönen. Allein das Auftragen der Farbe hat mir großen Spaß gemacht. Ich persönlich empfinde das oft als etwas sehr Entspannendes. Als ich dann die Seerose gemalt habe, habe ich festgestellt, dass die sich gar nicht richtig öffnen kann. Obwohl sie eigentlich einen so wunderschönen Kern hat. Die inneren Blätter haben sich schützend um ihn gelegt. Und für mich hat es sich so angefühlt, als ob die Blüte bereit ist, sich jederzeit auch wieder komplett zu schließen. Sie traut ihrer Umwelt offenbar nicht.

Ich war schon fast fertig mit meinem Bild, als ich mich noch ein bisschen im Raum umgeschaut habe und einen Schwamm im Regal entdeckte. Der Prozess war für mich bis dahin schon sehr prägnant und berührend. Aber jetzt kommt für mich das kleine Wunder: 

Aus welchem Grund auch immer, habe ich diesen Schwamm genommen und über mein Bild, mit dem ich eigentlich ganz zufrieden war, getupft. Immer wieder und immer intensiver. Das dargestellte Wasser um meine Seerose wurde dadurch so unruhig und lebendig, dass mir die Tränen nur so gelaufen sind. Ich bin auch heute noch sehr berührt, wenn ich mich daran erinnere. Denn genau so, wie dieses Wasser aussah, hat sich meine innere Welt für mich angefühlt. Und ich erkannte mich in der Seerose wieder, die in Alarmbereitschaft war zuzugehen. Obwohl sie so viel Schönes zu zeigen hat. 

Natürlich waren damit nicht all meine Probleme gelöst. Das meine ich nicht mit Wunder. Aber ich habe eine Aussenansicht auf meine Empfindungen bekommen und habe angefangen zu verstehen, warum ich mich damals so verhalten habe und wie es mir in Wirklichkeit geht. 

Wenn man das als Außenstehender nicht ganz nachempfinden kann, ist das überhaupt nicht tragisch. Denn wie gesagt … jeder erlebt diese Prozesse auf seine ganz eigene Art. Was für mich ein Wunder darstellt, ist für den anderen nur eine Seerose. Künstlerisch vielleicht noch nicht mal wertvoll (wer auch immer das beurteilen kann ;-). Aber dieses „Augen geöffnet bekommen“ ist ein magischer Moment, den ich jedem von Euch wünsche. Auf seine ganz eigene wundervolle Weise. Verständnis und Gespür für sich selber geschenkt zu bekommen.